Jeffrey Eugenides und ich – das ist eine späte Liebe. Weil man ja auch als Axt ab und zu mal Schuhe kaufen, Geld verdienen und Knutschen muss, passiert es allzu oft, dass wundervolle Bücher oder gar ganze Autoren an mir vorbeirauschen.
Eugenides’ fabelhafter Roman Middlesex war ein Weihnachtsgeschenk und hat mich für alle Zeiten mit dem Sujet des historisch angehauchten Familienporträts versöhnt. Und deshalb, nur deshalb, bin ich absolut willens und bereit, meine eherne Das-Buch-zum-Film-Regel zu brechen und hier über einen Roman zu faseln, den es im Bewusstsein der meisten Leute nicht gibt. Dies wiederum liegt am gleichnamigen Film von Sofia Coppola, der 1999 die Existenz des Buches medial überstrahlt hat. Und ich gebe in diesem Fall sehr gerne zu, dass der Film der literarischen Vorlage in nichts nachsteht.
Was Coppola jedoch nicht einzufangen vermag – aber das ist nicht ihre Schuld, sondern die der Gattung – ist Jeffrey Eugenides’ ganz spezielle Tonalität. Eugenides ist ein lyrischer, sensibler Erzähler, ohne jemals ins Kitschige abzudriften. Eine Kunst, die meiner bescheidenen Meinung nach nur wenige so gut beherrschen. Der Mann versteht es, große Themen wie Trauer, Schmerz und Schuld gleichermaßen feinfühlig wie pragmatisch anzufassen. Vermutlich liegt darin sein Talent: Emotionale Tornados werden greifbarer, sobald man sie auf die alltägliche Ebene herunterbricht.
The Virgin Suicides behandelt die unerklärlichen Selbstmorde von fünf Schwestern innerhalb eines Jahres in einer namenlosen Kleinstadt. Die „Lisbon-Mädchen“ üben auf die beobachtenden Nachbarsjungen eine mysteriöse Faszination aus, weshalb diese noch viele Jahre später anhand akribisch gesammelter „Beweisstücke“ versuchen, eine sinnvolle Deutung für die Selbstmorde zu rekonstruieren. Erzählt wird retrospektiv aus der Sicht der Nachbarsjungen, wobei der Leser nicht erfahren wird, wer dieser Ich-Erzähler eigentlich ist.
Wer einen schnellen Plot und einen potenten Stimmungsbogen sucht, für den ist The Virgin Suicides nichts. Denn das Ende des Romans wird schon am Anfang erzählt, es bleiben etliche Fragen offen, und eine Moral von der Geschicht’ gibt es auch nicht. Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich sagen, dies ist ein Bonbon für die Fans von Donna Tartt . Aber zum Glück darf man ja Donna Tartt und Charlie Huston gleichzeitig mögen.
Ach ja: Eugenides lebt übrigens in Berlin. Quasi um die Ecke. Liest hier jemand mit, der mir einen Interviewtermin besorgen kann? Irgendein Verlagsmensch, oder ein Zauberer? Wenn ja, dann...ja, was dann...also dann würde ich mir was fantastisches als Gegenleistung einfallen lassen.